Dieses Plakat zeigt die Verzweiflung
Von Carsten Dierig, Wirtschaftskorrespondent
Der mittelständische Handel fällt bei Staatshilfen oft durchs Raster, beschweren sich Verbände. Mit einer Aktion soll Druck gemacht werden
Bei Deutschlands mittelständischen Einzelhändlern steigen Verzweiflung und Panik. „Der Rettungsschirm der Bundesregierung hat Löcher – und der Mittelstand rutscht durch“, warnt Eckhard Schwarzer, der Präsident des Mittelstandsverbunds, der Dachorganisation der Verbundgruppen in Deutschland, zu denen zum Beispiel Unternehmen wie Intersport und Expert oder Vedes und Musterhausküchenfachgeschäft (MHK) gehören.
Die Politik spreche zwar immer wieder von einem beispiellosen und historisch einzigartigen Hilfsprogramm. „Der Mittelstand wartet aber noch immer auf Kredite.“ Und das wollen die Unternehmen der Politik nun mit einer Plakataktion verdeutlichen, die auch vom Handelsverband Deutschland (HDE) unterstützt wird.
„Danke liebe Bundesregierung für das Hilfspaket“, steht in großen weißen Buchstaben am oberen Rand eines grünen Posters. Darunter folgt dann der Satz „Bei unserem Betrieb mit ___ Beschäftigten ist noch nichts angekommen“, untermalt mit einem gestrichelten Paket, auf dem ein dickes Fragezeichen steht. Die betroffenen Händler wollen diese Plakate in den kommenden Tagen in ihre Schaufenster hängen und darüber hinaus Fotos davon in den sozialen Medien teilen als unmittelbares Feedback für die Politik. „Damit geben wir den wirtschaftlich Betroffenen dieser Krise ein Gesicht“, beschreibt Schwarzer, der im Hauptberuf stellvertretender Vorstandschef des Software- und IT-Dienstleisters Datev ist. Denn es knirsche an allen Ecken und Enden bei der Verteilung der Liquiditätshilfen. „Die Arbeit ist nicht damit getan, ein milliardenschweres Hilfspaket aufzusetzen. Solange das Geld nicht ankommt, ist keine Rechnung bezahlt, keinem Unternehmen und vor allem keiner einzigen Mitarbeiterin und keinem einzigen Mitarbeiter geholfen“, mahnt Schwarzer. Die Menschen seien aber nicht nur in Sorge um ihre Gesundheit, sondern auch um ihren Arbeitsplatz.
Betroffen sind vor allem die mittelgroßen Händler. Denn Kleinstfirmen und Selbstständige bekommen eine direkte finanzielle Unterstützung und größere Unternehmen mit mindestens 249 Mitarbeitern oder mehr als 50 Millionen Euro Umsatz können den Wirtschaftsstabilitätsfonds nutzen. Für den Mittelstand mit zwischen zehn und 249 Beschäftigten dagegen bleibt nach Verbandsangaben nur ein Sonderkreditprogramm der staatlichen Förderbank KfW. „Doch die Nachfrage ist immens, und das Antragsverfahren läuft mehr schlecht als recht“, beschreibt Günter Althaus, der Leiter der „Taskforce Liquidität für den Mittelstand“ des Mittelstandsverbunds. „Aber die Zeit drängt: Mittlerweile gibt es eine sechsstellige Zahl an Unternehmen in der höchsten Gefährdungsstufe.“ Und für viele davon werde es schon im April ganz eng.
Am schlimmsten trifft es die Händler mit Saisonware, also vorrangig die Verkäufer von Mode, Schuhen und Sportartikeln. Denn sie haben im Januar und Februar flächendeckend neue Ware bekommen – samt Rechnung. „Die Liquidität ist also weg, und neue kommt derzeit nicht rein wegen der Geschäftsschließungen“, beschreibt Althaus. „Also laufen jetzt jeden Tag hohe Verluste auf.“ Und damit nicht genug. „Mode ist eine verderbliche Ware“, sagt Steffen Jost, der Präsident des Handelsverbands Textil (BTE). „Denn Hosen oder Schuhe aus der Frühjahrskollektion kann der Modehandel im Sommer kaum noch verkaufen.“ Allenfalls mit hohen Rabatten. „Dann verdienen die Händler aber nichts“, erklärt Taskforce-Chef Althaus, dem zufolge auch noch ein dritter Hammer auf die Händler wartet: „Was nicht verkauft werden konnte, muss am Jahresende abgeschrieben werden und steht dann ergebniswirksam in der Bilanz.“ Spätestens das werde vielen Unternehmen den Rest geben.
Dem Vernehmen nach überlegen daher erste Händler, ob sie überhaupt noch Staatshilfen beantragen – weil absehbar ist, dass sie mit oder ohne Hilfe am Ende überschuldet sein werden. Aus Sicht von Althaus ist eine flächendeckende Rekapitalisierung der einzige Weg aus der Krise, also sofortige Liquiditätshilfen ohne spätere Rückzahlung. „Derzeit gehen ganze Lebensentwürfe innerhalb weniger Wochen den Bach runter“, heißt es aus der Branche. „Nun wollen die Betroffenen zumindest noch ihr verbliebenes Privatvermögen retten.“
Wer noch nicht resigniert, hat enormen Zeitdruck. „Es geht jetzt wirklich um jeden Tag bei den Fördergeldern“, mahnt der HDE, der auch andere Branchen und Verbände zur Teilnahme an der Plakataktion ermuntert. „Damit sichtbar wird, wie es an der Basis wirklich aussieht.“ Der Mittelstandsverbund rechnet damit, dass die Mehrzahl der mittelständischen Handelsbetriebe innerhalb der nächsten vier bis sechs Wochen zahlungsunfähig sein wird. Denn es hapere nicht nur bei den KfW-Krediten. Auch das hilfreiche Kurzarbeitergeld werde nur wirksam, wenn es schnell ausgezahlt wird. Dies sei allerdings bei Bearbeitungszeiten von sechs bis zehn Wochen nicht in Sicht